Die Klasse 8s1 hat sich während des Distanzlernens im Deutschunterricht mit dem Gedicht „Ich höre Istanbul“ von Orhan Veli beschäftigt und daran anknüpfend Parallelgedichte verfasst, welche ihre persönlichen Erfahrungen mit einer Großstadt ihrer Wahl widerspiegeln. Im Folgenden findet ihr sowohl das Originalgedicht als auch ein paar – von der Klasse ausgewählte – Parallelgedichte.

Lest euch die gelungenen Gedichte durch und verreist somit zumindest gedanklich in ferne Städte!

L. Hahnemann

 

Originalgedicht

Orhan Veli

Ich höre Istanbul (1941)

Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
Zuerst weht ein leichter Wind,
Leicht bewegen sich
Die Blätter in den Bäumen.
In der Ferne, weit in der Ferne,
Pausenlos die Glocken der Wasserverkäufer.
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.

Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
In der Höhe die Schreie der Vögel,
Die in Scharen fliegen.
Die großen Fischernetze werden eingezogen,
die Füße einer Frau berühren das Wasser.
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.

Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
Der kühle Basar,
Mahmutpascha[1] mit dem Geschrei der Verkäufer,
Die Höfe voll Tauben.
Das Gehämmer von den Docks her;
Im Frühlingswind der Geruch von Schweiß.
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.

Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
Im Kopf den Rausch vergangener Feste.
Eine Strandvilla mit halbdunklen Bootshäusern,
Das Sausen der Südwinde legt sich.
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.

(…)

[1] Mahmutpascha: Ein bekanntes Geschäfts- und Basarviertel in Istanbul.

 

Parallelgedichte der Klasse 8s1

Kjell Barth

Ich höre Miami (2021)

Ich höre Miami, meine Augen geschlossen.
Stahl ragt in die Luft,
Die Wolkenkratzer so hoch.
Im Hafen liegen die Yachten,
Geld liegt in der Luft.
Ich höre Miami, meine Augen geschlossen.

Ich höre Miami, meine Augen geschlossen.
Ein paar Meter weiter,
endloser Strand.
Kreischende Vögel,
sie fliegen in Scharen umher.
Ich höre Miami, meine Augen geschlossen.

Ich höre Miami, meine Augen geschlossen.
Die Kreuzfahrtschiffe ziehen in den Hafen,
Menschen irren umher.
Zu voll sind die Gassen,
eng, laut, dreckig.
Ich höre Miami, meine Augen geschlossen.

Ich höre Miami, meine Augen geschlossen.
Fernab des Tourismus,
die Armut sehr groß.
Menschen auf den Straßen,
der Müll stinkt, der Dreck fliegt umher.
Ich höre Miami, meine Augen geschlossen.

 

 

Anaїs Avella Serra

Ich höre Paris, meine Ohren weit offen

Ich höre Paris, meine Ohren weit offen.
Die vielen Märkte, auf denen Händler Produkte verkaufen,
Pärchen, die bei Sonnenschein einen Kaffee genießen
und Menschen, die ihr frisch gekauftes Baguette auf dem Weg nach Hause naschen.
Ich höre Paris, meine Ohren weit offen.

Ich höre Paris, meine Ohren weit offen.
Die Designerläden, von denen man überall spricht,
die schönen Wohnungen und Häuser, die Vielen zu teuer sind
und das Parfümgeschäft, welches man schon von weitem riecht.
Ich höre Paris, meine Ohren weit offen.

Ich höre Paris, meine Ohren weit offen.
Die Glocken von Notre-Dame,
die Chöre, die singen.
Kinder, die vor der Kathedrale Tauben jagen, um diese zum Fliegen zu bringen.
Ich höre Paris, meine Ohren weit offen.

Ich höre Paris, meine Ohren weit offen.
Menschen, die zum nächsten Termin eilen und stressige Telefonate führen,
Volle Straßen und Autobahnen,
auch Bahnhöfe und Flughäfen, lauter Menschenströme.
Touristen aus aller Welt kommen her, nur um die Stadt der Liebe zu sehen.
Ich höre Paris, meine Ohren weit offen.

 

N.N.

Gedicht Reykjavik

Ich höre Reykjavik, meine Augen geschlossen.
Das Gefühl einer Heimat tritt auf.
Du spürst Obhut und hörst das Meeresrauschen in der Ferne.
Ich höre Reykjavik, meine Augen geschlossen.

Ich höre Reykjavik, meine Augen geschlossen.
In der Ferne die Kirchenglocken der Hallgrimmskirja.
Dazu noch die Wärme, welche dir deine Winterjacke
und Mütze geben.
Ich höre Reykjavik, meine Augen geschlossen.

Ich höre Reykjavik, meine Augen geschlossen.
Die familiäre Sprache und die Schiffsgeräusche.
Auch die frische Luft lässt deine Wangen erröten.
Ich höre Reykjavik, meine Augen geschlossen.

Ich höre Reykjavik, meine Augen geschlossen.
Die Freundlichkeit der Menschen.
Du hörst die Barmusik und das Tröpfeln des Regens,
während du den Geruch von Essen und Fisch wahrnimmst.
Ich höre Reykjavik, meine Augen geschlossen.

 

Safa Sammie

Idleb

Wie soll ich Idleb beschreiben?
Wie soll ich die schönste Stadt beschreiben, denjenigen, die sie nicht kennen?
Das Herz von Syrien.
Die Hoffnung von anderen.
Das ist meine Stadt.

Wo es Kriege gibt.
Wo Bomben fallen jeden Tag.
Wo Leute Angst haben.
Das ist meine Stadt.

Wovon ich jeden Tag träume.
Wo ich meine Wurzeln habe.
Das ist meine Stadt.

Da, wo überall Touristen hinkamen.
Da, wo die Straßen zerstört sind,
Da, wo jetzt Blut fließt.
Das ist meine Stadt.

Ich vermisse deine Straßen,
Deine Lichter,
Deine Musik,
Die wir jeden Morgen hörten.
Ich vermisse deine Nächte,
Die warm und voller Leben sind.
Das ist meine Stadt.

Wo den Leuten die Tränen laufen vor Enttäuschung.
Vor Angst und Furcht.
Und nicht vor Freude.
Das ist meine Stadt.

 

Caroline Uekermann

Ich höre Marrakesch (2021)

Ich höre Marrakesch, meine Augen geschlossen.
Zuerst die schreienden Farben von Reklamen,
die aus den ockerfarbenen Häusern springen.
Die Straßen voller Autos und Menschen,
hupen und rufen.
Ich höre Marrakesch, meine Augen geschlossen.

Ich höre Marrakesch, meine Augen geschlossen.
Exotische Gewürze, bunte Vielfalt,
Altes und Neues
in engen Gassen.
Großes Gedränge.
Die Menge an Menschen bringt mich zum Schwitzen.
Ich höre Marrakesch, meine Augen geschlossen.

Ich höre Marrakesch, meine Augen geschlossen.
Fremde Musik, seltsam melodisch.
Die Paletten an der Kleidung der Bauchtänzerin
glitzern im Kerzenlicht.
Scharfe, dampfende Speisen.
Die Hitze bringt mich zum Schmelzen.
Ich höre Marrakesch, meine Augen geschlossen.

Ich höre Marrakesch, meine Augen geschlossen.
Ein ebener Weg
durch einen Garten.
Bäume und Wiesen frisch gewässert.
Innen Weite und Höhe, erhabene Stille,
ein Lichtstrahl erreicht den Boden.
Ich höre Marrakesch, meine Augen geschlossen.

 

Isabel van Vlaardingen

Ich höre Peking

Ich höre Peking, meine Augen geschlossen.
Kameras an jeder Straße,
Die Autos hupen und die Scooter fahren.
Man fühlt sich sicher, doch gleichzeitig gefährdet.
Auf den Straßen ist es nie leise,
Man hört die Leute reden und telefonieren.
Ich höre Peking, meine Augen geschlossen.

Ich höre Peking, meine Augen geschlossen.
Die Leute sind nett und respektvoll,
Wenn du Hilfe brauchst, helfen sie dir.
In Restaurants fühlst du dich gut und friedlich,
An einem Nachbarstisch wird sich gerade eine Suppe geteilt,
An einem anderen singen die Leute happy birthday.
Du bezahlst und gehst wieder raus auf die vollen Straßen.
Ich höre Peking, meine Augen geschlossen.

Ich höre Peking, meine Augen geschlossen.
Man hört seine Mitschüler  und Lehrer in der Schule reden
Über alle möglichen Themen
Und in verschiedensten Sprachen.
Man lernt hier viele neue Sachen kennen.
Vor der Schule draußen hört man schon die vielen Straßenverkäufer,
die dir Kartoffeln oder Mangos verkaufen wollen.
Ich höre Peking, meine Augen geschlossen.

Ich höre Peking, meine Augen geschlossen.
Du befindest dich auf der chinesischen Mauer.
Alle machen Fotos.
Du hörst, wie die Tourguides mit ihren Gruppen reden.
Man genießt das Wetter und man schaut auf die unglaubliche Aussicht.
Das Essen riecht man schon von sehr weit weg.
Man hört, wie überall Souvenirs verkauft werden.
Ich höre Peking, meine Augen geschlossen.

 

Katharina

Ich spüre Berlin

Ich spüre Berlin, meine Augen geschlossen.
Ein leichter Wind weht
an der Siegessäule,
umringt von sechs Spuren Straße.
Unter mir, weit unter mir,
vernehmbar die Geräusche der Stadt.
Ich spüre Berlin, meine Augen geschlossen.

Ich spüre Berlin, meine Augen geschlossen.
In der Nähe das Rauschen der Spree,
die bis durchs Zentrum fließt.
Ausflugsboote gleiten am Regierungsviertel vorbei;
Touristen machen Fotos von der Reichstagskuppel.
Ich spüre Berlin, meine Augen geschlossen.

Ich spüre Berlin, meine Augen geschlossen.
Inmitten der Geschäftigkeit,
am Platz im Herzen der Geschichte Berlins,
ein Wahrzeichen der Geschichte.
Bunt und doch grau, eine Mauer, die teilte;
In der Luft das Gedenken an vergangene Zeiten.
Ich spüre Berlin, meine Augen geschlossen.

Ich spüre Berlin, meine Augen geschlossen.
Im Kopf noch Gedanken an vergangene Zeiten.
Eine lange Treppe führt mich unter die Stadt,
unter die Gespräche mischt sich das Rauschen der U-Bahn.
Ich spüre Berlin, meine Augen geschlossen.