Vom Herzoglichen Neuen Gymnasium zum Wilhelm-Gymnasium – zwischen Tradition und Innovation: 1885 – 1906 – 2006
(Vortrag von Herrn Manfred Gruner zur Feier des 100-jährigen Namensjubiläums am 25.04.2006)
Schulgründungsphase vor 1885
Als Gründungstag des Wilhelm-Gymnasiums gilt der 26. Oktober 1885. Das Gebäude an der Leonhardstraße 63 wurde an diesem Tag feierlich bezogen und eingeweiht.
Wie kam es zur Gründung des „Herzoglichen Neuen Gymnasiums“ in Braunschweig? Es gab im 19. Jahrhundert bereits ein Gymnasium und mehrere Oberrealschulen: An erster Stelle muss das Martino-Katharineum genannt werden, hervorgegangen als erste bürgerliche Lateinschule 1415 aus dem Martineum bei St. Martini und dem Katharineum bei St. Katharinen.
Die anderen Schulen waren:
- die 1677 eröffnete Waisenhausschule (Hinter Liebfrauen, Waisenhausdamm),
- das 1825 gegründete Realinstitut des Dr. Brandes; daraus entstand über kleine Umwege 1866 das Herzogliche Realgymnasium, das 1937 in Staatliche Neue Oberschule für Jungen umbenannt wurde,
- der Vorläufer der Raabeschule; er hieß ab 1861 Privat-Institut des Dr. Günther, wanderte über viele Stationen und bekam 1926 den Namen Raabeschule,
- das Gymnasium Kleine Burg, das auf eine 1815 erfolgte Gründung als Höhere Privat-Töchterschule zurückgehen kann,
- das Gymnasium Hoffmann-von-Fallersleben-Schule, hervorgegangen aus einer 1876 gegründeten Städtischen Realschule.
Warum jetzt noch ein Gymnasium? Die Entwicklung der Einwohnerzahlen in der Stadt Braunschweig im 19. Jh. zeigen den Bedarf deutlich an: 1850 – ca. 39.000 Einwohner, 1880 – ca. 75.000 Einwohner. Das ist eine Verdoppelung innerhalb von 30 Jahren. Entsprechend drangvoll sah es in den Schulen aus. Obwohl das Martino-Katharineum 1869 einen Neubau an der Breiten Straße bezogen hatte, quoll es regelrecht über. Bereits zu Ostern 1880 hatte der Direktor, Schulrat Prof. Dr. Eberhard, in einem Antrag darauf hingewiesen, dass die Neuaufnahme von Schülern nicht möglich sei, da „nach anerkannten pädagogischen Grundsätzen… die höchste Besuchsziffer der unteren Stufenklassen nicht über 40, diejenige der oberen nicht über 30 hinausgehen“ dürfe. Am 23. Februar 1882 stellte das Staatsministerium auf diese Eingabe an die Landesversammlung den Antrag, die Errichtung eines zweiten humanistischen Gymnasiums zu bewilligen. Einen Monat später erfolgte die Genehmigung.
Jetzt musste die Standortfrage gelöst werden. Erste Planungen gingen in Richtung Hagenmarkt zu dem seit 1877 leerstehenden Gebäude des Collegium Carolinum – der späteren Technischen Hochschule. Man wollte sogar einen Museumsneubau (für das Herzogliche Museum) und den Schulneubau miteinander verquicken. Doch ein in Auftrag gegebenes Gutachten beim Architekten- und Ingenieurverein für das Herzogtum Braunschweig sprach sich dagegen aus. Da sich die Stadt so erheblich nach Osten erweitert hatte, sollte das neue Gymnasium „nach Osten gerückt“ werden. Man empfahl das Terrain jenseits des Umflutgrabens, welches im Osten von der verlängerten Adolfstraße, im Norden von der vom Magnitor her durch den Heusingerschen Garten projektierten Straße und im Westen von der Oker begrenzt wird. Der in Aussicht genommene Baugrund lag zwar auf dem Glacis der alten Bastionärsbefestigung, war aber weder staatliches noch städtisches Eigentum. Der Besitzer, Kaufmann Bierbaum, zeigte sich aber bereit, das Grundstück zu verkaufen, wenn die Stadt sich verpflichtete, durch Verlängerung der Leonhardstraße nach Westen die Oker mit einer Brücke zu versehen. Am 3. Februar 1883 wurde der Herzoglichen Baudirektion der Auftrag erteilt, alles Erforderliche einzuleiten. Baurat Wiehe übernahm die Bauleitung (Unter seiner Regie entstand auch das Marienstift und das Finanzbehördenhaus – heute die NORD/LB an der Dankwardstraße).
Am 15. Juni 1883 begann man mit den Erdarbeiten. Teilweise wies der Bauplatz höchst ungünstige Niveauverhältnisse auf. Für die umfangreichen Aufschüttungen waren ca. 5000 Fuder Erdboden nötig, um einen ebenen und großen Spielplatz – den Schulhof – zu schaffen.
Sämtliche Bauwerke – das Schulgebäude, das Wohnhaus des Direktors, Turnhalle und „Abortgebäude“ – wurden als Backsteinrohbau mit Ziegelblendung unter Verwendung von Sandsteinquadern für die Gesimse ausgeführt. Allein die Verblendsteine waren in 240 verschiedenen Formen zu liefern.
Ganz vorbildlich war man bei der Gestaltung des Erdgeschosses. Vom Direktor des MK, Schulrat Eberhard, war die Anregung ausgegangen, nach französischem Vorbild eine „Erholungshalle“ für die Schüler zu planen. Als erste höhere Schule Braunschweigs erhielt das WG eine derartige „Pausenhalle“ in Form eines sog. Remters – abgeleitet vom Refektorium, der Bezeichnung für den Speise- und Versammlungssaal in den Ordensburgen des Deutschen Ordens und in Klöstern.
Um den Anforderungen der Zeit für moderne Physikräume an Gymnasien zu entsprechen, reiste eine Kommission – zwei Lehrkräfte und der ausführende Baumeister – nach Dresden, Leipzig und Chemnitz.
Das Gebäude war am 15. Oktober 1885 bezugsfertig. Die Baukosten wurden nur geringfügig überschritten.
Erster Leiter des Herzoglichen Neuen Gymnasiums:
Schulrat Prof. Dr. Alfred Eberhard (1885-1893)
Hinsichtlich der organisatorischen Probleme der Anfangszeit hatte der Leiter des MK die Vorstellung, als „Oberdirektor“ beide Schulen zu leiten, das neue Gymnasium als Außenstelle. Unter ihm sollten zwei „Spezialdirektoren“ stehen. Prof. Eberhard sprach sich für eine Verbindung zwischen beiden Schulen für etwa zwei Jahre aus. Um die Schulleiterfrage zu klären, wurde eine hochkarätige Kommission ins Leben gerufen: der Oberbürgermeister, der Hof- und Domprediger, ein Professor des Collegiums Carolinum, zwei Schulleiter und ein Konsistorialrat.
Erst nach über 13 Monaten entschied die Regierung, dass beide Gymnasien zwei selbstständige Schulen seien, und Prof. Eberhard wurde mit der Leitung des Neuen Gymnasiums beauftragt. Mit ihm wechselte der größere Teil des Kollegiums an das Neue Gymnasium. Zugleich wurde das humanistische Profil auf die neue Schule übertragen, ohne dass es am MK Ersatz dafür gab.
Als Doppelanstalt erhielt das Herzogliche Neue Gymnasium (1885 – 1906) 521 Schüler zugewiesen, sodass dem MK nur 270 Schüler verblieben. – In der Festschrift zum 75jährigen Bestehen des Wilhelm-Gymnasiums im Jahre 1960 schreibt Dr. Multhoff: „Das Neue Gymnasium war eine rein humanistische Anstalt gewesen, nach Geist und Form noch immer der großen Konzeption Wilhelm von Humboldts verpflichtet, in mancher Hinsicht freilich erstarrt und nicht nach neuen Bedingungen und Bedürfnissen fortentwickelt. … In den Stundentafeln dominierten die alten Sprachen eindeutig und einseitig: an ihnen und den durch sie vermittelten geistigen Gehalten sollte Menschenbildung bewirkt werden.“ Ihnen gegenüber traten die deutschkundlichen Fächer, die neueren Fremdsprachen, Mathematik und Realien, die musischen Fächer und der Sport völlig zurück.“ In den Klassen 5 – 7 (heutige Bezeichnungen)waren 10 Wochenstunden Latein vorgesehen, in den Klassen 8 – 13 immer noch 8 Wochenstunden vorgesehen. Griechisch war von der 7. Klasse bis zum Abitur mit je 6 Wochenstunden vertreten.
Es sprengt den Rahmen, hier alle Veränderungen der Stundentafel aufzuführen, nur soviel sei hervorgehoben:
Im Schuljahr 1889/90 wurde in Anlehnung an die preußischen Lehrpläne der Beginn des Französischunterrichts in die 7. Klasse – vorher 8. Klasse – vorverlegt.
Interessant sind auch die anderen Stundenanteile von Fächern: Deutsch wurde in der untersten Klasse mit 4 Wochenstunden unterrichtet, ab 7. Klasse nur mit 2 Stunden; Englisch gab es ab 10. Klasse mit je 2 Stunden; Mathematik war mit 3 bzw. 4 Stunden angesetzt, Naturkunde (Biologie) in den unteren Klassen mit je 2 Stunden, Physik erst in der 11. Klasse mit je 2 Stunden.
Die musische Erziehung stand ganz im Hintergrund, Zeichnen gab es als Pflichtfach nur in den Klassen 5 – 7 mit 2 Wochenstunden, Singen nur in Klasse 5 und 6 mit einer Stunde; immerhin stand allen Klassen ein Schulchor offen.
Die Eltern hatten jährlich Schulgeld zu entrichten. 1891 waren für die Schüler der Oberstufe 150 Mark zu zahlen, für alle anderen 136 Mark, also knapp 12 Mark monatlich. Zum Vergleich: Ein Dreher verdiente ca. 106 Mark im Monat, für Miete waren ca. 20 Mark aufzubringen.
Das Lehrerkollegium bestand in den Jahren bis zum 1. Weltkrieg aus ca. 35 Herren.
Erwähnenswert sind auch die wöchentlichen Stundenzahlen für Lehrkräfte: Der Direktor hatte 4 Pflichtstunden Unterricht zu erteilen, die Oberlehrer 18 – 21, die Gymnasiallehrer 20 – 22.
Die Dienstbezeichnung war „Oberlehrer“, aber das ältere Drittel dieser Gruppe durfte sich, als besondere Auszeichnung, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts „Professor“ nennen.
Zweiter Schulleiter:
Oberschulrat Prof. Karl Dauber (1893 – 1916)
Prof. Dauber war zuvor Schulleiter in Holzminden und Wolfenbüttel und darüber hinaus Mitglied der Herzoglichen Oberschulkommission und der Prüfungskommission für das höhere Schulamt.
In Daubers Amtszeit, 1904, wird im Remter der Diskuswerfer des griechischen Bildhauers Myron aus dem 5. Jh. v. Chr. Aufgestellt – als Gipsabdruck, den das Herzog Anton Ulrich-Museum als Dauerleihgabe der Schule überlassen hat.
In diese Zeit fällt das für uns heute so wichtige Datum: 25. April 1906, Tag der Namensänderung der Schule. Hier die „Geburtsurkunde“:
Braunschweig, den 20. April 1906
Das Herzog. Braunschw. Lüneb. Staats-Ministerium
an
Herzogl. Oberschulkommission
hier
Da Seine Königliche Hoheit Prinz Albrecht von Preußen etc. Regent des Herzogtums Braunschweig aus Anlaß der bevorstehenden hundertjährigen Wiederkehr des Geburtstages Seiner Hoheit des Hochseligen Herzogs Wilhelm gnädigst zu bestimmen geruht haben, dass das von Seiner Hoheit gegründete „Neue Gymnasium“ hieselbst fortan den Namen „Wilhelm-Gymnasium“ zu führen hat, so setzen wir Herzogliche Oberschulkommission hiervon mit dem Auftrage in Kenntnis, bei gleichzeitiger Benachrichtigung des Gymnasialkonsortiums dem Oberschulrat Dauber entsprechende Eröffnung zu machen.
gez. Trieps
Dr. jur. August Trieps, Exzellenz und Wirklicher Geheimer Rat, war nach Albert von Otto und Adolf Hartwieg der dritte Mann im Herzoglichen Staatsministerium.
In den Jahren 1906 bis 1919 hieß diese Schule „Herzogliches Wilhelm-Gymnasium“. Wie der 25. April 1906 begangen wurde, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Nachzulesen ist aber, dass vier Jahre später, am 30. September 1910, zum 25jährigen Bestehen des Wilhelm-Gymnasiums „in der Aula der Anstalt, die mit der Büste des Herzogs Wilhelm und mit Fahnen geschmückt war, ein Festaktus statt(fand)“; so berichtete die Braunschweigische Landeszeitung am gleichen Tag. –
Von der Feier sei dies besonders erwähnt:
Der Gesangslehrer und Organist Immisch spielte auf der neuen, durch eine Sammlung und einen Zuschuss der Regierung von 1000 Mark erstellten Orgel. Weiter heißt es in der Braunschweigischen Landeszeitung vom 28. September 1910: „Das wundervolle Werk weckt natürlich den Neid aller anderen höheren Schulen…“ Der Festredner, Oberlehrer Prof. Dr. Scheffler, beschrieb das Ereignis wie folgt: „Anlässlich der Jubiläumsfeier „brauste“ zum ersten Male „hier an unser Ohr der Orgel machtvoller Klang mit ergreifender Gewalt.“ – Mit einem Orgelnachspiel schloss der Festakt.
Auf dem Nachmittagsprogramm stand ein Schauturnen. Den Höhepunkt des Tages bildete am Abend eine Aufführung des „Aias“ von Sophokles. Anschließend gab es das übliche Tanzvergnügen. Die Ehemaligen versammelten sich am nächsten Tage im großstädtischen Gesellschaftshaus Wilhelmsgarten.
Die Lehrer des deutschen Gymnasiums als einer wissenschaftlich orientierten Oberschule fassten bis zum 1. Weltkrieg ihre Aufgabe als eine vorwiegend elementar-wissenschaftliche auf. Von ihrer eigenen wissenschaftlichen Befähigung und Betätigung kann man sich heute noch anhand der wissenschaftlichen Beilagen zu den gedruckten Jahresberichten überzeugen. Bis 1914 lag der Schwerpunkt schulischer Arbeit und schulischen Lebens entschieden im Unterricht, der auch an Nachmittagen stattfand.
Im Jahresbericht 1889/90 ist allerdings das Bestreben angedeutet, der Unterricht solle „tunlichst“ auf den Vormittag konzentriert werden, um für alle Klassen entweder zwei schulfreie Nachmittage zu ermöglichen oder weniger anstrengende Unterrichtsstoffe in diese Zeit zu verlegen.
So wurde ab Michaelis 1890 (29. September) die Unterrichtszeit auf 8 – 13 Uhr festgelegt. Nur noch zweimal in der Woche sollte wissenschaftlicher Unterricht von 15 bis 16 Uhr stattfinden.
Für Klassenausflüge stand pro Schuljahr nur ein halber oder ein ganzer Schultag zur Verfügung.
In den Ablauf eines jeden Schuljahres gehörte traditionell die Sedanfeier am 2. September. Durch zahlreiche Bildmaterialien sind die Aktivitäten zweier durch die Geschichte des WG eng miteinander verbundenen Organisationen dokumentiert: Einmal ist dies der Orchesterverein, zum anderen der Primaner-Verein, der sich an den Formen studentischer Verbindungen orientierte. Dass dabei gelegentliche Ausschweifungen und Zügellosigkeiten infolge reichlichen Biergenusses zu beklagen waren, belegen Beschwerdebriefe betroffener Eltern ebenso wie direktoriale Anordnungen als Reaktion auf gemeldete Vorkommnisse.
Dritter Schulleiter:
Oberschulrat Prof. Dr. Ferdinand Beckurts
(1916 – 1923)
Ferdinand Beckurts war Schüler des Martino-Katharineums, 1906 – 1909 Schulleiter in Holzminden, dann Leiter des MK bis 1916. Seine Amtszeit war überschattet von den Erschütterungen, die mit dem trostlosen Ausgang des 1. Weltkrieges zusammenhingen, mit all seinen Nöten, seinem Leid und Elend. Ihm ist es zu verdanken, dass dem Herzoglichen Wilhelm-Gymnasium der humanistische Charakter erhalten blieb. Das WG wurde nicht, wie alle übrigen Gymnasien, in Reform-Realgymnasien (Schwerpunkte neue Sprachen und Naturwissenschaften) zu Ostern 1920 umgewandelt. Beckurts‘ Stellung gegenüber der Regierung war allerdings schwierig, sodass er im August 1920 auf eigenes Ersuchen aus der Oberschulkommission ausschied. In zusätzliche Schwierigkeiten kam der Schulleiter noch, als am 2. September 1920 WG-Schüler spontan „eine „Sedanfeier“ veranstalteten. Ihm wurde nachgesagt, er hätte „doch wohl Verständnis für die Gefühle seiner Schüler“ gezeigt. Unter Berufung auf das Zivildienstgesetz von 1889 wurde daraufhin von der vorgesetzten Behörde eine Ordnungsstrafe von 1000 Mark verfügt nebst einem Verweis. Die Eltern hingegen sprachen Prof. Dr. Beckurts ihr uneingeschränktes Vertrauen aus. Inzwischen hatten die Schüler ihrem Direktor einen eingesammelten Geldbetrag von 1400 Mark mit der Erklärung übergeben, „dass die Schülerschaft sich verpflichtet fühle, die über den Direktor verhängte Ordnungsstrafe auf sich zu nehmen.“ (Braunschweigische Landeszeitung v. 6.11.1920). Und weiter heißt es in er Meldung, dass Prof. Dr. Beckurts „die Schenkung unter Ablehnung ihres eigentlichen Zweckes dankend angenommen und im Einverständnis mit den jugendlichen Gebern die Summe dem Fonds für die Gedenktafel der im Weltkrieg für Deutschland gefallenen Schüler des Gymnasiums überwiesen“ habe.
Die monarchistische Stimmung in der Bevölkerung machte sich bereits nach der November-Revolution 1918 Luft: Am Reiterstandbild Herzog Wilhelms auf dem Ruhfäutchenplatz hing ein Schild mit der Aufschrift: „Lieber Herzog steig hernieder und regiere du uns wieder, lass in diesen schweren Zeiten lieber Schneider Merges reiten!“
Vierter Schulleiter:
Oberstudiendirektor Prof. Dr. Karl Gronau
(1924-1950)
Gronau leitete das Wilhelm-Gymnasium 24 Jahre ohne Unterbrechung bis 1950. Ab 1926 war er zusätzlich a. o. Professor der Philosophie an der Technischen Hochschule Braunschweig. Er war sehr darum bemüht, den humanistischen Geist am „Staatlichen Wilhelm-Gymnasium“ – so der offizielle neue Name – zu bewahren. Der Chronist Dr. Multhoff merkt dazu an: „Es kann freilich keinem Zweifel unterliegen, dass der Humanismus vor dem 1. Weltkrieg in mancher Hinsicht erstarrt und daher kraftlos geworden war. Sicher bedurfte das Gymnasium einer Pädagogisierung. In dieser Hinsicht waren die 20er Jahre überaus lebendig“ – sprich reformfreudig.
Was gab es an großen Veränderungen?
Seit 1919 waren die ersten vier Schuljahre für alle Kinder an der Volksschule obligatorisch, was zur Folge hatte, dass nur noch einmal pro Schuljahr – nämlich zu Ostern – eingeschult werden konnte. Bis 1918 gab es auch sogenannte Michaelisklassen, weil zu Michaelis Schüler aufgenommen wurden.
Das Fach Latein trat erneut etwas zurück, auf seine Kosten wurde Deutsch um eine Stunde vermehrt. Nun kam auch Erdkunde neu hinzu. Ab Ostern 1925 wurde auf Veranlassung des Schulleiters Gronau ein realgymnasialer Nebenzug ab Klasse 8 eingerichtet. Für diese Schüler war Französisch verbindlich. Neue Akzente waren: Konzentration des Stoffes, freiere Gestaltung des Unterrichts und in der Oberstufe Arbeitsgemeinschaften, z. B. eine musikalische Arbeitsgemeinschaft, der Singkreis, aus der 1930 die Spielschar erwachsen ist. So konnten die ab 1925 regelmäßig stattfindenden Montagsandachten ausgestaltet werden.
Ab 1927 gab das Landesschulamt für das höhere Schulwesen neue Lehrpläne heraus – die alten stammten aus dem Jahr 1903. Hinsichtlich der Didaktik und Methodik des Unterrichts sollten philosophische Durchdringungen und Verknüpfungen sowie persönliche Erarbeitungen angestrebt werden. Das Schulleben war stärker musisch und sportlich ausgerichtet als jemals zuvor. Werkunterricht wurde eingerichtet. Ausstellungen von Schülerzeichnungen und Schülerarbeiten fanden statt.
1930 wurde das 45jährige Bestehen der Schule an drei Abenden festlich begangen: das 64. Konzert des Orchestervereins, durch einen Kommers der Vereinigung der Ehemaligen und durch die Aufführung der Komödie „Wolkenkuckucksheim“ von Aristophanes in einer Nachdichtung Dr. Kramers. Seit 1929 erschienen unter Dr. Lehnes Redaktion die „Blätter des Wilhelm-Gymnasiums“, die erste Schulzeitung Braunschweigs.
In den Jahren 1919 bis 1933 fand regelmäßig ein Sportfest statt. Man zog mit der ganzen Schulgemeinde zum Waldhaus Querum (in der Nähe des späteren Flughafens), die Trommelriege des WG an der Spitze.
Stichwortartig seien hier weitere Neuerungen aufgezählt: Die Zahl der Exkursionen wurde vermehrt, die Ziele weiter gesteckt. Es begann die Tradition der Klassenelternabende. Langsam wurde überall ein Miteinander von Eltern, Schülern und Lehrern verwirklicht.
Vielfach ist die Zeit vor dem 1. Weltkrieg als die klassische Zeit des Wilhelm-Gymnasiums angesehen worden. Aber die Jahre bis 1933 waren die für die pädagogische Bewegung in Deutschland so überaus fruchtbaren, auch für das WG ein lebendiger Aufbruch zu neuen Formen und Zielen schulischen Miteinanders.
Eine Schule lebt aber nicht abseits und getrennt vom Strom des politischen und kulturellen Lebens ihres Landes. Seine Krise ist oder wird auch ihre Krise. Der Einbruch des Nationalsozialismus in das deutsche Leben bedeutete auch einen tiefen Einschnitt in der Geschichte des Wilhelm-Gymnasiums und vernichtete alle Ansätze zu einer zeitgemäßen Erneuerung des Humanismus.
(Der Zeitraum von 1933 bis 1945 wird z. Zt. von einer Lehrer-Schüler-Arbeitsgruppe gründlich überarbeitet und am Schluss der Recherchen veröffentlicht.)
Nach dem Einmarsch der Amerikaner in Braunschweig am 11. April 1945 diente das WG erst amerikanischen, später britischen Truppen als Unterkunft.
Am 23. Oktober 1945 fand der erste Unterricht mit von der Militärregierung bestätigten Lehrkräften wieder statt. Oberstudiendirektor Dr. Gronau war bereits im Mai zum Referenten im Ministerium am Bohlweg ernannt worden, trotzdem behielt er daneben die Leitung des Wilhelm-Gymnasiums.
In unterschiedlichen Schulen wurden die WGler nun unterrichtet. Im Sommer 1946 begann die Wiederinstandsetzung des Westflügels. Der Aufbau des Ostflügels erfolgte erst im Sommer 1951. In der notdürftig hergerichteten Aula wurde am 21. September 1946 das selbständig einstudierte Shakespeare-Stück „Was ihr wollt“ aufgeführt. „Ein hoffnungsvolles Zeichen wiederbeginnenden Lebenswillens“, schrieb Dr. Multhoff seinerzeit.
Wegen Kohlenmangels und wegen fehlender Räume war an ein geregeltes Unterrichten überhaupt nicht zu denken. Erst nachdem die Neue Oberschule im Sommer 1955 ausgezogen war, stand das Schulgebäude dem WG wieder allein zur Verfügung.
Fünfter Schulleiter:
Oberstudiendirektor Prof. Dr. Karl Lange
(1950 – 1958)
Es galt weiterhin, den äußeren und inneren Aufbau der Schule zu bewältigen. Mit großer Zähigkeit widmete sich Prof. Lange dieser Aufgabe.
1954 war die Schulträgerschaft hinsichtlich der sachlichen Lasten (Gebäude, Heizung, Reinigung, Hausmeister usw.) auf die Stadt Braunschweig übergegangen. Die Stadt führte auch den Turnhallenneubau durch. Inzwischen hatte sich die Schülerzahl von anfänglich 361 (1948) auf 608 (1960) erhöht.
Was die „inneren“ Veränderungen der Schule betrifft, seien hier die wichtigsten genannt:
Seit dem Schuljahr 1947/48 wurde Englisch als erste Fremdsprache für alle Schüler verbindlich. Erst vier Jahre später gab es wieder eine 5. Klasse mit Latein als erster Fremdsprache. Seitdem hatte das Wilhelm-Gymnasium zwei Züge, einen altsprachlichen (a) und einen neusprachlichen (n) Zug. Beiden Zügen blieb die Möglichkeit der Gabelung versagt. Seit dem Schuljahr 1957/58 wurde wieder Griechisch ab Klasse 8 unterrichtet. Das Fach Geschichte war zunächst gestrichen worden und wurde erst 1949 wieder ordentliches Lehrfach. Ab Schuljahr 1952/53 wurde ein „Vorabitur“ am Ende der 12. Klasse durchgeführt, das sog. „Etappenabitur“. Am WG umfasste dies in beiden Sprachenzügen Prüfungen im Fach Mathematik. In Klasse 13 war Musik oder Kunstunterricht nach Wahl des Schülers zu betreiben.
Das Schulleben am Wilhelm-Gymnasium wurde immer vielfältiger: Im September 1947 fand das erste Schulfest nach dem Kriege statt, im Sommer 1948 das erste Sportfest im Stadion. Der Schulelternrat existierte seit 1948. Im gleichen Jahr hatte sich der Verein ehemaliger WG-Schüler erneut konstituiert. Oberstudienrat Gerdes begann 1949 mit seiner Reihe der musischen Abende „Worte und Weisen zur Nacht“. Dr. Lehne gestaltete mit seiner 1950 wieder gegründeten Spielschar alle Sommer- und Winterschulfeste und auch manche Feierstunde in der Aula. Seit 1951 gab es eine SMV – die Schülermitverwaltung. Kunstausstellungen unter der Regie von Studienrat Kämpfe waren oft in der Aula zu sehen; einige Arbeiten gingen auch zu Ausstellungen ins Haus Salve Hospes am Lessingplatz, nach Hannover und nach Lund in Schweden oder Roaumont in Frankreich; ein Austausch der Arbeiten aus dem Kunstunterricht erfolgte mit Bath in England und der Karl-Marx-Oberschule in Leipzig. Seit 1951 fanden erste Ski-Lehrgänge im Harz statt. Im April 1953 erschien das Heft 1 der neuen „Blätter des Wilhelm-Gymnasiums“, eine Reihe, die weitgehend von Schülern selbst redigiert wurde.
Sechster Schulleiter:
Oberstudiendirektor Dr. Dietrich Mack
(1959 – 1978
Das Schuljahr 1960/61 stand ganz im Zeichen des 75jährigen Bestehens des Wilhelm-Gymnasiums. Es wurde eine ganze Woche gefeiert – vom 25. September bis 3. Oktober 1960. Den Auftakt bildete eine Ausstellung von Kunstarbeiten, die Schüler, Lehrer und Ehemalige gefertigt hatten. Noch in einem Leserbrief der Braunschweiger Zeitung vom 3. April 2006 wurde diese Ausstellung im Altstadtrathaus lobend erwähnt. So nachhaltig sind manchmal die Tätigkeiten der Schule. – Im Rahmen der Festwoche wurde auch die feierliche Grundsteinlegung für den neuen naturwissenschaftlichen Trakt zwischen Turnhalle und Ostflügel vorgenommen.
Zur feierlichen Enthüllung des neuen Ehrenmals hatten sich die Angehörigen der in beiden Weltkriegen gefallenen WG-Schüler in der Aula eingefunden. Anschließend begab man sich in den Remter, wo die Enthüllung des in Kupfer getriebenen Werkes von Bodo Kampmann, einem Professor der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste, stattfand. Auch die wieder hergerichtete Orgel wurde an diesem Tage eingeweiht.
Zu Beginn des Schuljahres 1962/63 konnte in den neuen Räumen mit dem naturwissenschaftlichen Unterricht begonnen werden. Im Kellergeschoss bezogen die Kunsterzieher ihre neuen Fachräume. Die feierlichen Einweihungen waren wiederum in eine Festwoche (Oktober 1962) eingebunden. In diesem Rahmen bot die Laienspielschar eine eindrucksvolle Aufführung der lyrischen Versdramen „Tod des Tizian“ und „Tor und Tod“ von Hugo von Hofmannsthal.
In der Festrede stellte die Oberbürgermeisterin, Frau Martha Fuchs, fest, dass das Wilhelm-Gymnasium nun „komplett“ sei. Den Festvortrag hielt der Prorektor der damaligen Technischen Hochschule, Prof. Dr. Lagershausen, ein ehemaliger WG-Schüler.
Nach der (vorläufigen) Oberstufenreform wurde seit Ostern 1963 das Fach „Gemeinschaftskunde“ unterrichtet. Eine andere Entscheidung war viel einschneidender: die Umwandlung in eine Koedukationsschule. Die ersten Mädchen schulte man 1964 in der Klasse 5 ein. Die dritte gravierende Veränderung beinhaltete die Umwandlung des zweiten neusprachlichen Zweiges der Klassen 11 – 13 in einen mathematisch-naturwissenschaftlichen Zug.
Waren es anfänglich nach dem Kriege Klassen- bzw. Studienfahrten innerhalb Deutschlands, so setzten sich ab Mitte der 60er Jahre immer mehr Fahrten ins Ausland durch, teilweise in Form des Schüleraustauschs, anfänglich nach Kopenhagen in Dänemark oder Hilversum in den Niederlanden, später nach Prag, St. Petersburg, Griechenland, Italien, Frankreich und – seit 1983 – auch in den anderen Teil Deutschlands, nach Erfurt, Eisenach, Weimar, Dresden und Meißen.
Die Schülerzahl wuchs von 524 (1965) auf 851 (1972) stetig an. Zwei große Probleme waren damit verbunden, einmal das Raumproblem und zum anderen der Lehrermangel.
Die zusätzlichen Räume stellte die Stadt Braunschweig in der ehemaligen Kaufmännischen Berufsschule in der Bertramstraße zur Verfügung. Aber auch diese reichten nicht aus, teilweise gab es zusätzlich bis zu drei Wanderklassen ohne eigenen Klassenraum.
Aus dem Jahr 1973 muss von einer Pioniertat des ehemaligen Kollegen Ruschepaul berichtet werden, denn vor den Sommerferien wurde zum ersten Mal die „Musische Woche“ durchgeführt. Man muss dabei bedenken, dass es bis dahin noch keine Projektwochen an Braunschweiger Gymnasien gab. In seinen Erinnerungen berichtet der spätere Schulleiter, Herr Dr. Bodo Gatz, dass in der Folgezeit Dauer und Profil häufig verändert wurden, zeitweise wurde die „Musische Woche“ auch jährlich alternierend mit dem WG-Sportfest veranstaltet. Neu war, dass neben den Lehrern auch Schüler, Eltern, Ehemalige und Externe Kursleiter sein konnten. Projekte sollten Erfahrungen vermitteln, die der herkömmliche Unterricht nicht erbringen konnte.
1974 sind wiederum einschneidende Veränderungen zu melden: die Generalsanierung des Altbaus, was einen empfindlichen Eingriff in das Schulleben bedeutete und wieder zu Schicht- und Ganztagsunterricht führte.
Von ganz anderer Tragweite waren die von der Kultusbehörde geplanten strukturellen Veränderungen zur Neuordnung der Sekundarstufe II (Oberstufenreform) und die Einführung der Orientierungsstufe; dies bedeutete den Wegfall der 5. und 6. Klassen. Der Antrag des WG, ein vom Schulträger und der Bezirksregierung unterstütztes Reformmodell realisieren zu dürfen, fand beim Kultusministerium keine Unterstützung. Seitdem unterrichteten WG-Lehrkräfte an verschiedenen Orientierungsstufen, so an den Orientierungsstufen Leonhardstraße, Friesenstraße, Georg-Eckert-Straße, Rothenburg, Lindenberg, Nibelungen, Heidberg und Sickte.
Das Schuljahr 1976/77 war geprägt durch den Eintritt der ersten Schüler der Orientierungsstufe in Klasse 7 und durch den Übergang des ersten Jahrgangs in die reformierte Oberstufe (RGO). Die Auflösung der Klassenverbände, die Wahlmöglichkeiten der Schüler in Grund- und Leistungskursen wie Prüfungsfächern im Rahmen gewisser Auflagen bestimmten jetzt die beiden letzten Klassen. Durch die Kooperation mit der benachbarten Gaußschule gelang eine Erweiterung der Fächerangebote, eine Zusammenarbeit, die bis heute zum Nutzen der Schüler besteht.
Siebter Schulleiter:
Oberstudiendirektor Dr. Bodo Gatz
(1978 – 2000)
Am Wilhelm-Gymnasium war Dr. Gatz kein Unbekannter, denn er begann 1964 seinen Schuldienst hier als Studienreferendar. Späterhin unterrichtete er als Studiendirektor am Herzog-Ernst-Gymnasium in Uelzen und brachte von dort Erfahrungen mit der reformierten Oberstufe und etliche gute Anregungen zur Gestaltung des Schullebens mit. Unterstützt wurde Herr Dr. Gatz durch den ständigen Vertreter, Herrn Fritzsche und die Koordinatoren Frau von Kopp sowie die Herren Bracke und Tunkel. Alle waren angetreten, zum einen „das Bewährte zu bewahren und lebendig weiterzuentwickeln, zum anderen durch neue Impulse dem besonderen Profil des WG zu dienen in gedeihlicher Zusammenarbeit mit allen am Schulleben beteiligten Gruppen“, schrieb Gerhard Bracke in der Chronik „100 Jahre Wilhelm-Gymnasium.“
Das 100jährige Bestehen feierte die gesamte Schulgemeinschaft in der Woche vom 15. bis 21. September 1985 mit einem ausgefallenen Programm von Aufführungen, Ausstellungen, einer Podiumsdiskussion, einem Festakt im Staatstheater, einem Sporttag u.v.a.m.
Nach legendären Aufführungen in der Nachkriegszeit unter Dr. Lehnes Regie wurde die Schultheater-Tradition am WG wieder aufgenommen, jetzt allerdings von Schülerseite: 1981 rief Christine Hering eine Theater-AG ins Leben und debütierte mit drei Einaktern von Anton Tschechow. 1985 unterbrach sie sogar ihr Medizinstudium und übte zur 100-Jahr-Feier Aristophanes‘ „Die Frösche“ ein. Die AG wurde zunächst unter Schülerleitung fortgesetzt, bis sich wiederum Lehrkräfte der Sache annahmen.
Die Förderung der Schulmusik machte Dr. Gatz ab 1978 zur eigenen Sache. Der Aufschwung kam, als Hans Mesecke 1980 das vorhandene kleine Orchester übernahm und in den Folgejahren zu einem weithin beachteten Klangkörper entwickelte, während die nun entlastete Gesine Burgdorf sich um Bläser und Chor kümmern konnte, die sich ebenfalls von Jahr zu Jahr steigerten. Das WG-Orchester war zeitweise das größte Schulorchester in Braunschweig. Die Musikabende des WG zählten zu den „kulturellen Highlights“, die sich immer größerer Beliebtheit erfreuten.
Große Außenwirkung erzielte auch der Schulsport. Das Skilanglauftraining für den Wettbewerb „Jugend trainiert“ und der „Tag der Braunschweiger Skijugend“ führten besonders auch durch die enge Zusammenarbeit mit der Wintersportabteilung von Eintracht Braunschweig zu überregionalen sportlichen Erfolgen der Schule. Zu den besonderen Aktivitäten gehörte auch der Hockey-Sport. Zeitweise stellte die Schule bis zu sieben Mannschaften auf, von denen eine im Bundesfinale sogar den 2. Platz erringen konnte. Im Zusammenhang der neuen Sportarten muss auch die Kanu-Arbeitsgemeinschaft genannt werden. Mit viel Eigenhilfe konnte 1993 ein schuleigener Bootssteg an der Oker eingeweiht werden.
Erwähnenswert ist ebenso der Ausbau der internationalen Kontakte der Schule. Partnerschaften wurden begründet mit Tarascon/Frankreich (seit 1980), Gilford/USA (seit 1982), Vaureal/Frankreich (seit 1985) und Megara/Griechenland (seit 1999).
1991 begann ein Wendepunkt im Selbstverständnis des WG, der in der Folgezeit zu wesentlichen strukturellen Änderungen geführt hat. Nach dramatisch zurückgegangenen Schülerzahlen wurde eine Umfrage bei Schülern, Lehrern und Eltern hinsichtlich der Schulqualität gestartet. Dr. Gatz erinnert sich: „Die Auswertung war ernüchternd und mündete am Ende in eine Reform an Haupt und Gliedern: Einführung pädagogischer Konferenzen auf Klassenebene, Benennung (später Einstellung) eines Beratungslehrers, Berufung eines gemischten Ausschusses „WG 2000″, bestehend aus Schulleiter, Lehrern, Eltern, Schülern; hier wurde u. a. das organisatorische und pädagogische Konzept einer offenen Ganztagsschule erarbeitet, Antrag auf Genehmigung der Sprachenfolge Englisch – Französisch; damit war die Folge Englisch – Latein nicht mehr verbindlich.“
Die Umwandlung des WG in ein offenes Ganztagsgymnasium fand 1997 statt. Im selben Jahr wurden etliche Räume für die Ganztagsnutzung hergerichtet. Auch eine Schulmensa konnte am 17. März 1999 in Betrieb gehen.
Achter Schulleiter:
Oberstudiendirektor Gerhard Thamm van Balen (seit 2000)
Gerhard Thamm van Balen war 16 Jahre lang als Ausbilder in niedersächsischen Studienseminaren für das Lehramt an Gymnasien tätig, bevor er im Sommer 2000 die Leitung des Wilhelm-Gymnasiums übernahm. Sein Bestreben war es von Anfang an, die altsprachliche Tradition der Schule nachhaltig zu stärken und gleichzeitig ihre neusprachlichen, mathematisch-naturwissenschaftlichen und musischen Bildungsangebote deutlich auszubauen. Aus der Überzeugung heraus, dass am Wilhelm-Gymnasium fachdidaktisch und pädagogisch Besonderes geleistet wird, strebte er die grundsätzliche Erweiterung des Schulprofils um neue, anspruchsvolle Aufgaben an. Im Sinne dieser Zielstellungen hat die Schule etliche Innovationen entwickelt und umgesetzt. Zu nennen sind insbesondere die Weiterentwicklung des schulinternen Medienkonzepts im Rahmen der n21-Förderprogramme des Landes Niedersachsen (2001 uns 2002), die systematische Förderung hochbegabter Schülerinnen und Schüler im Verbund mit Orientierungsstufe und Grundschulen (ab 2003), die Formulierung eines Schulprogramms (2003), die Einrichtung einer Profilmittelstufe bei gleichzeitiger Erweiterung der neusprachlichen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Ausbildungsmöglichkeiten (2005), die weitere Ausgestaltung der Offenen Ganztagsschule, insbesondere im Bereich der Hausaufgabenbetreuung, und schließlich der Ausbau vielfältiger Kooperationen mit außerschulischen Bildungsträgern und Experten, insbesondere im Bereich der Begabtenförderung und der Schulqualitätsentwicklung.
Dass diese Wege zu Erfolgen führen, dass neue Ideen aber sicherlich auch noch hinzukommen, ist derzeit schon absehbar. Größere Gewissheit darüber haben wir sicherlich, wenn wir Ihnen im Jahre 2010 über den Entwicklungsstand der Schule berichten: Dann nämlich feiert das Wilhelm-Gymnasium sein 125jähriges Bestehen.